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Freitag, 29. Juni 2012

Stereotype Stereo-Typen

oder die unerträgliche Leichtigkeit des Scheins


Der Donnerstag brachte etwas auf meinen Bildschirm, das irritierend auf mich wirkte. Nein, ich meine nicht das EM-Halbfinal-Aus der deutschen Mannschaft gegen Italien. Das war ja nach dem überheblichen Medien-Hype der letzten Wochen - die BLÖD-Zeitung an vorderster "Front" maßgeblich beteiligt - irgendwie zu befürchten. Was ich meine, ist ein Video (All Work and All Play), dass IBM Social Business Deutschland bei facebook geteilt hat. Es geht um die sogenannten Millennials (auch Generation Y genannt), also die Generation, die im Jahr 2010 zwischen 20 und 30 Jahre alt war. Meine Irritation versuche ich mal zu erklären...

All work and all play from Box1824 on Vimeo.

Generation X war ich eigentlich schon nicht mehr, die emotionsbefreiten Yuppies waren älter und mir ein Gräuel. Generation Y gab es noch nicht. Ich war vielleicht Generation XY (ungelöst), gefangen zwischen den Welten. Okay, schon gut...Drama-Modus = aus.

Anfang der 90er tauchten AIESEC-Mitglieder bei uns im geisteswissenschaftlichen Trakt der Uni auf. Die erklärten uns, warum wir Geisteswissenschaftler die idealen Management- und Consulting-Typen der Zukunft werden. Man billigte uns fachübergreifend Attribute zu, die angeblich für die zu der Zeit absehbare Entwicklung in fast allen Wirtschaftsunternehmen ein den folgenden Jahren eine Rolle spielen sollten. Es ging dabei um Kommunikations- und Konzeptionskompetenzen jenseits abstrakter Wirtschaftslehre. Der streng betriebswirtschaftlich orientierte "Formelcharakter" würde durch eine gute Mischung aus BWL-Profis, Juristen und kommunikationsstarken Geisteswissenschaftlern aus den Planungsetagen "gewaschen". Warum ausgerechnet AIESEC uns diese Täuschung ins Gebäude stellte, ist mir bis heute nicht klar. Die kommunikationsstarken Geisteswissenschaftler finden sich jedenfalls nicht in dem prognostizierten Triumvirat.

Heutzutage überlässt man die Prognose den Profis. Das angesprochene Video wurde auf Basis mehrerer Studien der brasilianischen Trendforscher von Box1824 zusammengestellt. Der einführende Text sagt zwar, dass es sich um ein nicht kommerzielles Projekt handelt, doch Box1824 arbeitet bei der Trend- und Innovationsforschung überwiegend natürlich schon für Marken und Produkte, um deren Akzeptanz in jeweiligen Märkten und Zielgruppen anhand sozialrelevanter Kriterien herauszufiltern. Insofern verwundert es vermutlich niemanden, dass hier eine stereotype Charakterisierung der Millennials stattfindet. Es stimmt mich allerdings nachdenklich, dass der Schein erweckt wird, es würde sich um ein Massenphänomen handeln und nicht bloß um eine konsumrelevante Bildungselite. Da muss man schon sehr genau zuhören, um das in dieser Darstellung zu entdecken.

Was man sich demnach als Prototyp des Millennials vorstellt, ist beispielsweise der Cargohose tragende Mittzwanziger, der mit MacBook, Skateboard und DJ-Kopfhörer bewaffnet während des zweiten Kurzfrühstücks online eine Projektplanung mit Partnern in aller Welt durchzieht. Jeder der Partner ist ein kleiner Zuckerberg, auch die Frauen, und wegen des ausserordentlichen Erfolgs des Online Business, dass auch jeder einzelne betreibt, ist die semi-infantile Freizeitgestaltung zum Ausgleich aufwendig, risikoreich und spaßorientiert. Das Klischee erfreut sich bester Gesundheit. Und die Marketing-Abteilungen der Konzerne können ihr Budget öffnen und bei den Trendspezialisten den Zuschnitt ihres Produktes auf diese Zielgruppe durchspielen lassen. Die Generation Chips schaut derweil buchstäblich in die Röhre. Aber die könnten sich die relevanten Produkte eh nicht mehr leisten. Der potentiellen Zielgruppe indes wünsche ich,  dass sie dann auch tatsächlich und kaufkräftig existiert und die Prognose wirklich zutrifft. Und nicht von den klassischen Wirtschaftsunternehmen in ein Einzel- oder Nischendasein gezwungen wird.

Bei all der Ironie möchte ich aber nicht unerwähnt lassen, dass das Video typische Charakteristika soziokultureller Entwicklungen der letzten Jahrzehnte durchaus treffend skizziert. Nur eben nicht vollständig, sondern selektiv. Aber das ist auch interessant.

Und, ja - es hat mich sehr wohl irritiert, was Jogi Löw da am Donnerstagabend auf den Platz gestellt hat. Kann ich ruhig zugeben - ich hatte gleich ein schlechtes Gefühl.

Dienstag, 12. Juni 2012

Kampfradler vs. Krampfadler

oder auch "Die Überschreitung der Grenzen des politisch Korrekten"


Der Ramsauer Peter hatte wieder mal zugeschlagen. Unvermittelt und aus der Hüfte lieferte er die Steilvorlage für die Mutter aller Stammtischgespräche - Kraftfahrzeug vs. Radkraftzeugs.

Inhaltlich war der Ausraster des Ministers natürlich im Prinzip völlig wertlos, denn wie unter Autofahrern, Rauchern und Kinobesuchern gibt es auch unter Radfahrern asoziale Idioten, die sich einfach nicht an ein paar Regeln halten möchten - Egozentriker, die ihr narzistisches Gedankengut hegen und pflegen. Bemerkenswert war die Tatsache, dass sich hier ein - zugegebenermaßen gelegentlich streitbarer - Bundesminister öffentlich in den Bereich der verbalen Inkontinenz vorwagte. Und dafür gleichermaßen Spott und Beifall erntete. Das politisch Korrekte ist einfach zu langweilig geworden.

Ob kalkuliert oder nicht, Ramsauers verbale Entgleisung spiegelt im Prinzip die Real- Kommunikation 2.0 wieder, die dank moderner Medien schneller und verbreiteter stattfindet als jemals zuvor. Die traditionellen Medien haben (im klassisch humanistisch-deutschen, pseudo-journalistischem Marketing-Sinn korrekten Ansatz) seinen eher niveaulosen Vorstoß als Anlaß zur Diskussion über die tatsächliche Relevanz von Fahrrad-Aggros und die gesellschaftliche Dimension der Angelegenheit genommen und bei diversen Möchtegern-Jauchs im Beisein von selbst-ausgewiesenen Experten ausgeschlachtet. Hätte der umtriebige Verkehrs-Peter allerdings bei facebook derart vom Leder gezogen, wäre er vermutlich als Troll gelabelt worden. Die werden in der virtuellen Partybox ja meistens ausgegrenzt, ohne dass sie das jemals mitbekämen. Das ist ja das Schöne, man muss sich dort nicht zu seinen Abneigungen bekennen.

Einige der Trolle haben übrigens ohnehin einen neuen Spielkreis gefunden. Die Piratenpartei musste einige von ihnen aufnehmen, die seither den intellektuell kreativer ausgestatteten Parteifreunden virtuell ans Bein pissen. Den Fehler im System hat sich der Politikverein der Web-Affinen allerdings selbst zuzuschreiben. Die offensiv ausgegebene "Wir-nehmen-jeden" Ansage haben auch die Hafensänger und Klugschnacker verstanden, die mit politischen Programmen und grundsätzlichen Idealen sonst überfordert sind. Sorgen machen müssen wir uns um die Piraten indes nicht, denn sie werden zu ihrer Programmatik finden und Linien entwickeln, die die Trolle im Lauf der Zeit überfordern.

Währenddessen kreist der deutsche Reglementierungs-Adler über der Szenerie und versucht, die Lage irgendwie durch noch mehr Ordnung und Komplexität in den Griff zu bekommen. Die Chancen dazu sind glücklicherweise langfristig schlecht.